Harvard Law School: Österreich erstmals unter der Lupe

Wien (OTS) – Rund 420.000 Menschen in Österreich sind von schwerer
Ernährungsarmut
betroffen. 1,5 Millionen sind von Armut und/oder sozialer Ausgrenzung
bedroht. Zahlen, die gerade anlässlich des Welternährungstags (16.10.
) und des Tags gegen Armut (17.10.) zu denken geben sollten. Eine
einfache, effektive und ebenso rasch wie kostengünstig skalierbare
Antwort bietet die karitative Lebensmittelweitergabe, wie sie Die
Tafel Österreich seit 1999 (gemäß dem internationalen Food-Bank-
Konzept) betreibt.

In der Realität steht dieses Modell vor enormen Herausforderungen
und kommerzielle „Lebensmittelrettungs-Initiativen“ sind in
Österreich – wie nirgendwo sonst – auf dem Vormarsch. Welche
Rahmenbedingungen die karitative Lebensmittelweiterhabe fördern bzw.
hemmen, dieser Frage geht seit 2018 die Food Law and Policy Clinic (
FLPC) der Harvard Law School in einem Projekt mit dem Global
Foodbanking Network nach: dem Global Food Donation Policy Atlas .

Zwtl.: Österreich als drittes Land in Europa

In rund 27 Ländern weltweit ist der Atlas bereits rechtlichen
Rahmenbedingungen zu Lebensmittelspenden auf den Grund gegangen. In
den nächsten Monaten wird sich die Harvard Law School intensiv der
Analyse Österreichs – nach Irland und Polen dem dritten Land in
Europa – hinsichtlich Gesetzen und Richtlinien rund um
Lebensmittelrettung und -weitergabe widmen. Im Rahmen ihrer Arbeit
wird sie konkrete Handlungsempfehlungen an die Politik aussprechen.

Erst vor wenigen Tagen hat die EU-Kommission im Rahmen der EU
Waste Framework Directive verbindliche Reduktionsziele für die
einzelnen Stufen der Wertschöpfungskette festgelegt. Mitgliedsstaaten
werden darin aufgefordert, die karitative Weitergabe und die Rolle
von Tafelorganisationen als essentielle Partner in ihren Ländern
weiter auszubauen.

Wie die Empfehlungen für Österreich (etwa zu Vorgaben für
Lebensmittelspenden) im Detail aussehen können, legen sowohl die
vordefinierten Handlungsfelder des Projekts als auch
Leuchtturmprojekte aus Irland und Polen nahe. Die wichtigsten
Schwerpunkte liegen auf folgenden Bereichen:

1.

Vorliegen nationaler Abfallbewirtschaftungspläne und
Abfallvermeidungsgesetze

2.

Leitlinien zur Lebensmittelsicherheit für Lebensmittelspenden

3.

Datumskennzeichnung

4.

Haftungsschutz

5.

Steuerliche Begünstigungen

6.

Steuerbarrieren

7.

Maßnahmen zur Vermeidung von Lebensmittelverschwendung

8.

Öffentliche Fördergelder und andere Begünstigungen

9.

Berichterstattung zu Emissionen, Umwelt und
Lebensmittelverschwendung

So besitzt Irland einen nationalen Aktionsplan gegen
Lebensmittelverschwendung mit klaren Verantwortlichkeiten und
Prioritätenfeldern; eines davon ist die karitative
Lebensmittelweitergabe. Darüber hinaus verfügt Irland über zahlreiche
Fördertöpfe, die sich v. a. im Bereich Kreislaufwirtschaft um
Lebensmittelabfallvermeidung und eine Umverteilung überschüssiger
Lebensmittel bemühen.

In Polen bietet die Regierung Steuerabzüge und/oder
Steuergutschriften für Lebensmittelspenden an, die an Organisationen
zur karitativen Lebensmittelweitergabe gehen. Basierend auf der EU-
Richtlinie 2008/98/EG („Abfallrahmenrichtlinie“) gibt es nationale
Abfallbewirtschaftungspläne und Abfallvermeidungsprogramme. Dabei
werden Einzelhändler ab einer gewissen Größe dazu verpflichtet, mit
Organisationen zur Lebensmittelrückgewinnung zusammenzuarbeiten, um
nicht verkaufte Lebensmittel weiterzugeben.

Trevor Findley (Harvard Law School): „Wir sind sehr stolz, das
Global Food Donation Policy Atlas -Projekt jetzt auch nach Österreich
zu bringen. Wir sind überzeugt, dass ein länderübergreifender
Austausch und das Bekanntmachen von weltweiten Best-Practice-
Beispielen in der karitativen Lebensmittelweitergabe allen Seiten
etwas bringt – denn wir sehen, dass die richtigen rechtlichen und
politischen Rahmenbedingungen armutsbetroffenen Menschen und der
Umwelt, aber auch der Politik einen großen Mehrwert bringen.“

Zwtl.: Wirkung kann nur durch Politik potenziert werden

Auf Wirkung und Wert der karitativen Lebensmittelweitergabe weist
auch Ignazio Corrao (European Food Bank Federation FEBA) hin: „Sowohl
in Europa als auch weltweit wird es immer wichtiger, den sozialen und
ökologischen Mehrwert von Tafelorganisationen aufzuzeigen. Um diese
Wirkung zu maximieren, müssen wir das Bewusstsein schärfen und
politische Unterstützung sichern: Nur politische Entscheidungsträger
können die Rahmenbedingungen schaffen, die es unseren Mitgliedern
ermöglichen, in jedem EU-Land effektiv zu arbeiten und alle ihre
ökologischen und sozialen Ziele zu erreichen. Hier in Brüssel
beobachten wir seit langem eine wachsende Anerkennung unserer Arbeit
innerhalb der EU-Institutionen und wir sind bereit, auf dieser
Dynamik aufzubauen .“

Zwtl.: Internationale Expertise trifft österreichische Realität

Die Auftakt-Präsentation in Wien fand auf Einladung von Die Tafel
Österreich statt. Die NPO erhofft sich von der „Analyse mit
Außenblick“ wertvolle Impulse – denn nach wie vor werden
österreichweit mehr als 1 Million Tonnen Lebensmittel entlang der
gesamten Wertschöpfungskette weggeworfen, während mehr als 420.000
Menschen an schwerer Ernährungsarmut leiden. Nur rund 30.000 Tonnen
Lebensmittel werden für die karitative Lebensmittelweitergabe in
Österreich gespendet.

Alexandra Gruber , Geschäftsführerin der Tafel Österreich, die
Österreich im europäischen Dachverband FEBA vertritt, ergänzt: „Unser
Anspruch als älteste und einzige Tafel Österreichs, die dem
internationalen Tafelmodell folgt, ist seit 26 Jahren gleich: Wir
wollen noch mehr Lebensmittel zur besseren Versorgung
armutsbetroffener Menschen in sozialen Einrichtungen umverteilen. Wir
laden daher alle Stakeholder ein, ihre Perspektive der karitativen
Lebensmittelhilfe in den Harvard Food Donation Policy Atlas
einzubringen und von den besten politischen Rahmenbedingungen
weltweit zu lernen. Das Potenzial ist noch immer riesengroß, ein
Vielfaches der weggeworfenen Lebensmittel an Menschen in Not
umzuverteilen. Wir hoffen, dass dies der Auftakt zu einer
maßgeblichen Verbesserung der karitativen Lebensmittelweitergabe ist
und dabei stärker ihr hoher Stellenwert als multipler Problemlöser in
den Mittelpunkt rückt.“

Über Die Tafel Österreich
Die Tafel Österreich versorgt seit 1999 armutsbetroffene Menschen
durch soziale Einrichtungen kostenfrei mit geretteten Lebensmitteln.
So haben sie eine essenzielle Sorge weniger und können mit
professioneller Hilfe Wege aus der Not finden. Allein im Jahr 2024
konnten über 1.578 Tonnen Lebensmittel an mehr als 75.000
armutsbetroffene Menschen in ganz Österreich weitergegeben werden.
Die Non-Profit-Organisation ist überwiegend spendenfinanziert und auf
Geld-, Zeit- und Warenspenden angewiesen. Mehr Infos unter tafel-
oesterreich.at