Wien (OTS) – „Wer jungen Menschen Bildung verweigert, verspielt ihre
Zukunft. Und
unsere“ , sagt Anna Parr, Generalsekretärin der Caritas Österreich.
„Nach der Pflichtschule stehen viele asylwerbende Jugendliche ohne
Perspektive da. Sie wollen lernen, eine Berufsausbildung machen, aber
das System blockiert sie. Das ist weder fair noch klug, schon gar
nicht in Zeiten des Fachkräftemangels.“
Bildung ist kein Privileg. Sie ist ein Recht.
Ein neues rechtliches Gutachten, das von der Caritas Österreich
in Auftrag gegeben und von Dr.in Lioba Kasper erstellt wurde, zeigt:
Der Ausschluss von Asylwerber*innen von der Ausbildungspflicht
verstößt gegen Kinderrechte, internationale Verpflichtungen und EU-
Recht.
Asylwerbende Jugendliche dürfen nach der Pflichtschule nur
weiterlernen, wenn eine Schule sie aufnimmt. Oft scheitert dies
jedoch an fehlenden Kapazitäten, unzureichenden Sprachkenntnissen
oder schlicht an Willkür. Im Fall einer Lehrstelle kommt eine weitere
Hürde hinzu: Der*die Jugendliche braucht eine
Beschäftigungsbewilligung des AMS, die nur erteilt wird, wenn die
freie Stelle nicht durch eine andere, als arbeitslos vorgemerkte
Arbeitskraft besetzt werden kann („Arbeitsmarktprüfung“). Somit hängt
auch der Zugang zu Lehrstellen nicht vom Können oder Wollen der
Jugendlichen ab, sondern vom Zufall und von bürokratischen Hürden.
„Jedes Kind hat das Recht zu lernen, egal, woher es kommt. Es ist
höchste Zeit, dass Österreich dieses Recht auch für asylsuchende
Jugendliche umsetzt“, so Anna Parr.
Jedes Jahr verliert Österreich 53 Millionen Euro durch
Bildungsabbrüche und dringend benötigte Arbeitskräfte.
Eine weiteres von der Caritas Österreich in Auftrag gegebenes und
von PD Dr.in Judith Kohlenberger durchgeführtes Gutachten zeigt: Der
fehlende Bildungszugang kostet nicht nur Lebenswege, sondern auch
Geld und Fachkräfte. Frühe Bildungsabbrüche führen zu
volkswirtschaftlichen Verlusten von rund 53 Millionen Euro pro Jahr:
Laut den Berechnungen könnten diese Kosten eingespart werden, wenn
die strukturellen Barrieren beseitigt würden. Allein durch eine um 15
Prozent höhere Erwerbsquote unter jungen Geflüchteten würden sich die
öffentlichen Einnahmen spürbar erhöhen.
„In der Phase des Asylverfahrens steht für viele junge
Geflüchtete das Leben still: Sie können weder zur Schule gehen noch
eine Ausbildung aufnehmen oder einen Beruf erlernen. Diese
Leerlaufzeit zerstört Bildungsbiografien, verhindert den Spracherwerb
und drängt viele später in unqualifizierte Beschäftigung. Das schadet
ihnen und der Gesellschaft“, so Kohlenberger. „Würde man ihnen Zugang
zu einer Ausbildung ermöglichen, hätten wir mehr Fachkräfte und
weniger Abhängigkeit von Sozialleistungen.“
Stimmen junger Geflüchteter: „Zahlreiche Hürden bei der
Arbeitsmarktintegration“
Ein qualitatives Forschungsprojekt zur Arbeitsmarktintegration
der Volkshilfe Österreich mit jungen Schutzberechtigten zeigt zudem,
wie dringend strukturelle Reformen nötig sind. In qualitativen
Interviews schildern die jungen Menschen ihre Erfahrungen, die von
Problemen bei Sprachkursen, unklaren Perspektiven, finanzieller
Unsicherheit und mangelnder Unterstützung geprägt sind. Viele von
ihnen landen aus Einkommensdruck in prekären Jobs, die sich nicht mit
Ausbildung und Deutschkursen vereinbaren lassen. Damit wird eine
nachhaltige Arbeitsmarktintegration, d.h. stabile und langfristige
Erwerbsverhältnisse, die eine finanzielle Eigenständigkeit
ermöglichen, erschwert.
„Das sind vermeidbare Brüche in Lebensläufen. Diese jungen
Menschen wollen sich ein selbstbestimmtes Leben aufbauen und eine
Perspektive für die Zukunft. Doch sie stoßen auf Hürden, die wir
selbst errichten “, sagt Erich Fenninger, Direktor der Volkshilfe
Österreich. „Arbeitsmarktintegration beginnt nicht erst mit einem
Job, sondern schon bei der Bildung. Wer den jungen Geflüchteten die (
Aus)Bildung erschwert, zementiert ihre Ausgrenzung und verschärft den
Fachkräftemangel.“
Caritas und Volkshilfe fordern:
–
Ausbildungspflicht bis 18 Jahre – auch für Asylsuchende.
–
Flächendeckende und integrative Sprach-, Aus- und
Weiterbildungsangebote.
–
Echter Zugang zu weiterführenden Schulen und Lehrstellen.
–
Schnellere Integration in das Regelschulsystem und Abschaffung
dauerhaft segregierender Klassen.
–
Verlässliche Datengrundlagen zum Aufenthaltsstatus von Schüler*
innen.
„Diese jungen Menschen sind Teil unserer Gesellschaft“, sagt
Parr. „Wir müssen sie fördern. Jeder in ihre Bildung investierte Euro
zahlt sich mehrfach zurück – menschlich, sozial und auch
wirtschaftlich.“
Fenninger ergänzt: „Wir dürfen nicht länger zuschauen, wie eine
Generation zwischen Asylverfahren, Deutschkursen und prekären Jobs
stecken bleibt. Stattdessen gilt es, in diese jungen Menschen zu
investieren, um eine gelingende Integration in den Arbeitsmarkt und
in die Gesellschaft zu ermöglichen. Davon profitieren wir alle.“