Mental Health Day: Sozialhilfe – „Wir erleben die Demontage des untersten sozialen Netzes“

Wien (OTS) – Auf „die vergessenen und verschwiegenem Probleme in der
Sozialhilfe“
machte heute die Armutskonferenz gemeinsam mit dem
Erwachsenenschutzverein VertretungsNetz und der Interessenvertretung
für Menschen mit psychischer Erkrankung „Lichterkette“ aufmerksam
„Zehntausende in der Sozialhilfe sind Menschen mit Behinderungen oder
Personen mit psychischen Erkrankungen. In der öffentlichen Debatte
kommen sie jedoch nicht vor“, betont Sozialexperte Martin Schenk von
der Armutskonferenz wie wichtig es ist, genau hinzusehen: „Menschen
mit Behinderungen wird ein selbstbestimmtes Leben verweigert, die
Soforthilfe funktioniert nicht, die Wohnkosten sind nicht tragbar,
Härtefallregeln fehlen, Entscheidungsfristen am Amt sind zu lange und
es treten große Mängel im Vollzug auf. Wer von einer Reform der
Sozialhilfe spricht, darf zu diesen Missständen in den Bundesländern
nicht schweigen“, so Schenk.

„Wir erleben die Demontage des untersten sozialen Netzes. Die
Gesetze werden immer restriktiver und gleichzeitig immer weniger
wirksam, wenn es darum geht, Armut zu verhindern und ein
menschenwürdiges Leben zu sichern“, ergänzt Gerlinde Heim,
Geschäftsführerin von VertretungsNetz.

Zwtl.: Bedrohung der Existenz macht krank

„Wer „nicht selbsterhaltungsfähig“ ist, kann auch als
Erwachsene:r gezwungen werden, bei den Eltern Unterhalt gerichtlich
einzuklagen. Damit bleibt man ein Leben lang von der Familie
abhängig. Das beschämt und belastet – und widerspricht der UN-
Behindertenrechtskonvention. Es braucht hier endlich eine
bundesgesetzliche Änderung“, fordert Gerlinde Heim. „Du lebst mit
einer Behinderung, sie lassen Dich aber nicht selbständig leben“,
ergänzt Martin Schenk. „Darüber wird geschwiegen.

Brigitte Heller weiß, wie Menschen mit psychischen Erkrankungen
an den vielen Barrieren in der Sozialhilfe scheitern.
„Existenzsicherung ist essentiell für die Genesung und für die
Stabilität. Wenn Menschen aber noch weiter belastet und ihr letztes
Netz eingerissen wird, dann verschlechtert sich ihre seelische
Situation noch mehr. Die Bedrohung der Existenz macht krank. Das
führt zu schierer Verzweiflung bis hin zu suizidalen Gedanken“, warnt
die Vorsitzende der Lichterkette, der Interessensvertretung für
Menschen mit psychischen Erkrankungen.

Zwtl.: Fehlende Härtefallhilfe und untragbare Wohnkosten

Ein großes Problem ist die fehlende Härtefallhilfe. Eine kaputte
Waschmaschine oder eine dringende Zahnbehandlung wird so zum
unlösbaren Problem – insbesondere wenn die Miete einen Großteil der
Sozialhilfe für den Lebensbedarf auffrisst. „Durch die Kürzungen der
letzten Jahre wird es immer schwieriger, den Lebensunterhalt
abzusichern. Die Richtsätze für das Wohnen sind viel zu niedrig, bei
gleichzeitig explodierenden Wohnkosten“, erläutert Norbert Krammer,
Bereichsleiter Erwachsenenvertretung bei VertretungsNetz.

Auch der vorgesehene Zuschlag für Menschen mit Behinderungen zur
Sozialhilfe kommt oft nicht bei den Betroffenen an, weil er mit
Betreuungsleistungen des Landes gegengerechnet werden kann.
Sozialexperte Schenk ergänzt: „Du musst das Wenige, das Du noch hast,
fürs Wohnen ausgeben. Darüber redet niemand: Dass die Wohnkosten
untragbar sind, die Behörden aber die Wohnbeihilfe, die entlasten
würde, einkassieren. Du musst Hungern für die Miete.“

Zwtl.: Behördenwillkür Tür und Tor geöffnet

„Die neuen restriktiven Sozialhilfegesetze der Länder, etwa in OÖ
und der Steiermark, sind so unklar formuliert, dass sie der
Behördenwillkür Tür und Tor öffnen“ berichtet Norbert Krammer.
Problematisch sind die sogenannten „Bemühungspflichten“. Nicht näher
definierte „Pflichtverstöße“ führen zu sofortigen Kürzungen, auch
wenn ein Versäumnis unverschuldet ist, z.B. wegen einer Erkrankung.
In OÖ müssen sich Sozialhilfe-Empfänger:innen künftig um eine
Vollzeitbeschäftigung „bemühen“, Ausnahmen für Menschen mit
Behinderungen oder chronischen Erkrankungen sind nicht vorgesehen.
„Zwischen den Bundesländern ist ein gefährlicher Wettlauf entstanden:
Wer zahlt am wenigsten und schließt am effizientesten Menschen aus?
Statt Armut zu bekämpfen, wächst die Bürokratie und die Menschen
werden beschämt und schikaniert.“

Das bundesweite Sozialhilfegrundsatzgesetz wird nun novelliert.
Die Armutskonferenz appelliert gemeinsam mit VertretungsNetz und
„Lichterkette“, ein Gesetz vorzulegen, in dem die Hürden für Menschen
mit Behinderungen nicht vergessen, sondern überwunden werden: Die
Unterhaltspflicht von Eltern gegenüber Kindern mit Behinderungen mit
dem 25. Lebensjahr begrenzen, 1-monatige Entscheidungsfrist
einführen, Mindestabsicherung statt Höchstsätze etablieren,
unkomplizierte Soforthilfe in Härtefällen garantieren,
bürgerfreundliches Amt und barrierefreie Antragstellung umsetzen. Und
ganz wichtig: Armutsbekämpfung und Existenzsicherung müssen wieder
als zentrales Ziel im Gesetz verankert werden.