Wien (OTS) – Die militärische Zeitenwende in Europa hat das
österreichische
Bundesheer erfasst. Die Armee muss 70 Jahre nach ihrer Gründung
massiv aufrüsten. Die jahrzehntelange Unterfinanzierung bedroht die
Verteidigungsfähigkeit der Republik. Die neue „Menschen & Mächte“-
Dokumentation „Armee unter Druck – Österreich und sein Bundesheer“
von Georg Ransmayr analysiert am Mittwoch, dem 29. Oktober 2025, um
22.30 Uhr in ORF 2 und auf ORF ON, wie das Heer auf die aktuelle
Bedrohungslage in Europa reagiert – und wie sich frühere Krisen auf
das Image der Armee ausgewirkt haben.
Seit in der ehemals neutralen Ukraine ein Krieg tobt, macht sich
niemand mehr über das österreichische Bundesheer lustig. Die lange
belächelte und mangelhaft gerüstete Armee ist aus der „Schmuddelecke“
ins Rampenlicht gerückt. Viele Länder machen sich Sorgen um ihre
Verteidigungsfähigkeit. Das gilt auch für neutrale Staaten wie die
Schweiz und Österreich. Die Schweiz hat ihre wehrhafte Neutralität
stets ernster genommen als Österreich. Umso größer ist der
Nachholbedarf hierzulande. Bis 2032 sollen mehr als 16 Milliarden
Euro in die Modernisierung des Bundesheeres fließen. Auslöser war der
Ukraine-Krieg, der de facto 2014 mit der russischen Besetzung der
Krim begonnen hat. Dass Österreich zwischen 2015 bis 2019 gemessen an
der Wirtschaftsleistung das niedrigste Verteidigungsbudget seit dem
Staatsvertrag hatte, ist kaum zu glauben. „Das Heer wurde über
Jahrzehnte fast kaputtgespart“, kritisiert der Militär-Experte Franz-
Stefan Gady.
Schon Julius Raab und andere „Baumeister der Republik“ hatten ein
ambivalentes Verhältnis zum Militär. Das Bundesheer wurde primär als
„Erziehungsfaktor für die Jugend“ betrachtet – und nicht als
ernsthafte Truppe zur Verteidigung der Neutralität. Das Bundesheer
machte zwar während der Ungarn-Krise 1956 eine gute Figur. Die
Finanzierung blieb aber auf Sparflamme.
In den 1970er Jahren kommt das Bundesheer an zusätzlichen Fronten
unter Druck. Linke Aktivisten wollen das Heer abschaffen. Uniform-
Träger sind der 68er-Bewegung suspekt. Bruno Kreisky glaubt als
österreichischer Regierungschef, dass die Wiener UNO-City für die
Sicherheit Österreichs wichtiger ist als das Bundesheer. Mit der
Einführung des Zivildienstes können junge Männer dem Präsenzdienst
ausweichen. Das Bundesheer entwickelt zwar ein neues
Landesverteidigungskonzept für die neutrale Alpenrepublik. Doch in
den Augen vieler ist das Heer nur zur Bewältigung von
Naturkatastrophen da. An Kampfeinsätze will man gar nicht denken.
Nach einer Bundesheer-Reform in den frühen 2000er Jahren werden
Panzer, Kanonen und Liegenschaften veräußert. „Aus dem Verkauf ist
irgendein Budgetloch gestopft worden. Es ist eigentlich
verantwortungslos gewesen“, so der Militärhistoriker Manfried
Rauchensteiner.
Mittlerweile ist die internationale Sicherheitsarchitektur ein
Scherbenhaufen. Russlands Präsident Putin hat die Ukraine 2022 mit
einem Krieg überzogen. Die europäischen NATO-Länder sind schwer
verunsichert, seit US-Präsident Trump signalisiert hat, Europa
womöglich alleine zu lassen. Schlagartig haben sich die Prioritäten
verschoben, auch im Kreis der neutralen Länder wie Österreich. Jetzt
geht es nicht mehr nur um „Schutz und Hilfe“, sondern um
Kampftauglichkeit. Und um die Abwehr von Drohnenattacken und hybriden
Angriffen auf kritische Infrastruktureinrichtungen. Robert Brieger,
bis vor Kurzem der ranghöchste General im EU-Verteidigungskomitee,
warnt: „Es gibt jede Menge Handlungsbedarf, das österreichische
Bundesheer auf diese Herausforderungen einzustellen.“ Daneben
zeichnen sich noch andere Hindernisse ab: Das Bundesheer könnte nicht
genug Personal finden, um die militärische Aufrüstung plangemäß zu
stemmen.
Dass sich die Zeiten ändern, sieht man an den
Entscheidungsträgern. Der Oberbefehlshaber der Armee heißt Alexander
Van der Bellen. Das „Menschen & Mächte“-Team hat den
Bundespräsidenten bei einer Inspektionstour am Truppenübungsplatz in
Allentsteig (NÖ) begleitet. Als grüner Oppositionspolitiker hat Van
der Bellen die Wehrpflicht einst als teuren Nonsens bezeichnet und
ein reines Profi-Heer gefordert. Heute sieht der Bundespräsident das
Militär mit anderen Augen. „Mir ist das Bundesheer vielleicht zur
Überraschung vieler sehr ans Herz gewachsen“, gesteht Van der Bellen.
Seit dem Beginn des Ukraine-Kriegs habe die Landesverteidigung noch
an Bedeutung gewonnen. „Die allermeisten Österreicherinnen und
Österreichern verstehen, dass die Republik mehr für das Bundesheer
tun muss, um die Sicherheit im Land zu erhöhen.“
Die prekäre Weltlage stellt Österreich vor eine existentielle
Herausforderung. Seit 1955 hat man sich auf die Neutralität
verlassen. Ob die im Krisenfall schützt, weiß niemand. Womit die
„österreichische Seele“ Risse zeigt: Die Bevölkerung ist gegen die
NATO und hält der Neutralität traditionell die Treue. Gleichzeitig
sind aber viele vom „Schutzfaktor“ der Bündnisfreiheit nicht mehr
überzeugt. Übrig bleibt, dass die EU-Länder einander im Krisenfall
beistehen sollen. Das wird von vielen Österreicherinnen und
Österreichern aber als Einbahnstraße betrachtet. Frei nach dem Motto
„Europa soll uns retten, aber wir sind für Nachbarschaftshilfe nicht
zu haben“. Dazu die Politikwissenschafterin Kathrin Stainer-Hämmerle:
„Die Bevölkerung wird sich von ihrer Trittbrettfahrer-Mentalität
verabschieden müssen!“
Wenig bekannt ist, dass Österreich einen geheimen
Auslandsnachrichtendienst hat, der die Staatsspitze regelmäßig mit
Lageberichten versorgt. Für den Film „Armee unter Druck“ ist es
Regisseur Georg Ransmayr gelungen, erstmals einen Leiter des
Heeresnachrichtenamtes vor die Kamera zu bringen. Die Doku beleuchtet
somit auch, wie dieser „Bundesheer-Geheimdienst“ in früheren Krisen
für die Republik spioniert hat und welche Gefahren die
Sicherheitsleute aktuell sehen. „Ein Interview des Dienstchefs ist
schon ein großer Schritt“, sagt der renommierte Geheimdienst-Kenner
Thomas Riegler. „Vieles am Heeresnachrichtenamt ist nach wie vor
geheim in Österreich. Und das ist eigentlich unüblich, weil in
Österreich selten etwas geheim bleibt.“