Wien (OTS) – Eine Presseaussendung der Initiative “Rettet den
Christkindlmarkt”
vom 4. November 2024 war der davon betroffenen Stadt Wien Marketing
GmbH (SWM) dann doch etwas zu forsch. Sie klagte dagegen beim
Handelsgericht Wien (16 Cg 62/24b), weil die Presseaussendung für sie
rufschädigend sei. Doch nicht nur sie. Auch die Stadt Wien selbst
klagte aus diesem Grund, obwohl diese Presseaussendung nur die
Sozialdemokratische Partei Österreich (SPÖ) und die Stadt Wien
Marketing GmbH (an der sie zu 100% beteiligt ist) betrifft. Dass da
der Eindruck entstehen kann, dass die SPÖ sich als Alleinherrscherin
Wiens geriert und meint, dass sie mit der Stadt Wien gleichzusetzen
sei, wird vehement in Abrede gestellt. Faktum ist freilich, dass die
Wiener Stadtregierung von der SPÖ dominiert wird.
Zwtl.: Stadt Wien als Namensgeber
Die Stadt Wien beruft sich in ihrer Klage darauf, dass ihr Name
im Gesellschaftsnamen („Firma“) der Stadt Wien Marketing GmbH (SWM)
enthalten ist, und sie daher von Äußerungen über die SWM mitbetroffen
ist. Das Gegenargument der Initiative “Rettet den Christkindlmarkt”
ist, dass die Stadt Wien selbst dann, wenn die Presseaussendung vom
Gericht als rufschädigend angesehen wird, nur dann Ansprüche wie
einen Unterlassungsanspruch gegen die Presseaussendung hätte, wenn
darin über die Stadt Wien selbst etwas Negatives geäußert wird. In
der Presseaussendung sind aber nur Äußerungen enthalten, die für SWM
und die SPÖ negativ wirken. Gegen die Stadt Wien und deren Regierung
oder Behörden der Stadt Wien wird darin kein Vorwurf erhoben.
Zwtl.: Problem für Bürgerinitiativen
Das Gerichtsverfahren beim Handelsgericht Wien ist in der
Zielgeraden. Manche sehen darin ein Gefährdungspotential für
Bürgerinitiativen. Denn viele österreichische Gemeinden haben
Gesellschaften, in denen ihr Name vorkommt, zum Beispiel Wohnbau- und
Immobiliengesellschaften oder GmbHs mit gemeindeeigenen
Wirtschaftsbetrieben, mit einem Betrieb zur Wasserversorgung oder zur
Abfallbewirtschaftung oder für Abwasserkanäle. Gerade deren
Aktivitäten sind oft in der Kritik von Bürgerinitiativen.
Zwtl.: Gefahr eines doppelten Chilling-Effekts
Wie der Oberste Gerichtshof betont, soll die Meinungsfreiheit
nicht eingeschränkt werden durch einen ‚chilling effect‘, also das
Unterbleiben von Beiträgen zu einer Debatte von allgemeinem
gesellschaftlichem Interesse aus Furcht, für diesen Beitrag belangt
zu werden (OGH 18.02.2021, 6 Ob 52/20w Rz 33). Im gegebenen
Zusammenhang droht aber gleich ein doppelter Chilling-Effekt. Denn
eine kritische Bürgerinitiative läuft nun Gefahr, doppelt geklagt zu
werden, wenn sie sich ihrem Wesen entsprechend kritisch über einen
gemeindeeigenen Betrieb äußert.
Zwtl.: Fall für den OGH
Derzeit wartet man auf das Urteil des Handelsgerichts Wien. Das
Oberlandesgericht Wien hat bereits im Vorfeld Bedarf an Klärung durch
den Obersten Gerichtshof gesehen. Voraussichtlich wird das Verfahren
erst dort enden.
Zwtl.: Pressefreiheit in Österreich unter Druck
Die Initiative “Rettet den Christkindlmarkt” sieht in diesem
Verfahren nicht nur eine Klärung grundsätzlicher Fragen, sondern auch
ein wichtiges Signal für alle engagierten Bürgerinnen und Bürger –
die sich kritisch mit politischen Strukturen und stadtnahen Betrieben
auseinandersetzen, ohne befürchten zu müssen, dafür doppelt geklagt
zu werden.
Dass sich der Oberste Gerichtshof im Jahr 2025 mit der Frage
befassen muss, ob eine Gebietskörperschaft wie die Stadt Wien
überhaupt Klagebefugnis besitzt, obwohl sie in der beanstandeten
Presseaussendung gar nicht genannt wurde, zeigt, wie sensibel das
Verhältnis zwischen Politik, Justiz und Pressefreiheit in Österreich
geblieben ist.